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Musik, Wissenschaft und LaTeX

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Musik­wis­sen­schaft­le­rin­nen haben es schwer — auch wenn sie LaTeX-Tex­te mit Noten­bei­spie­len und Har­mo­nie­ana­ly­sen ver­fei­nern wol­len. Die­ser Arti­kel fasst eine Unter­su­chung zum The­ma LaTeX und Musik­wis­sen­schaft zusam­men, die unter der Hand zu einer selbst­re­fe­ren­ti­el­len Anlei­tung gewor­den ist.

Repo­si­to­ry Musik­wis­sen­schaft mit LaTeX

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Ansinnen

Am Anfang woll­te ich eine musik­wis­sen­schaft­li­che Arbeit schrei­ben. Wie geis­tes­wis­sen­schaft­li­che Tex­te mit LaTeX ent­ste­hen, hat­te ich schon sys­te­ma­tisch erprobt.1 Die Ergeb­nis­se sind in das Tool ‘proScientia.ltx’ ein­ge­flos­sen; eine frü­he­re Ver­si­on fir­mier­te unter ‘myCsrf’. Deren Sinn hat­te ich in einem Tuto­ri­al doku­men­tiert und demons­triert.

Aller­dings wuss­te ich damit noch nicht, wie man Musik­bei­spie­le mit Open-Source-Tools gene­riert und in LaTeX-Tex­te inte­griert. Es gab bis­her kei­ne Sich­tung dazu, ob und wie das mit frei­er Soft­ware umzu­set­zen wäre. Eine ers­te gro­be Inter­net­re­cher­che brach­te eine Fül­le an Tools und Metho­den zu Tage — aber kei­ne rich­ti­ge Anlei­tung, kei­ne Erklä­rung, wel­che Tools man wie man bes­ten zusam­men­stöp­selt, und schon gar kein Tuto­ri­al, ob und wie man mit frei­er Soft­ware Noten und Har­mo­nie­ana­ly­sen ver­knüp­fen könn­te.

Also stell­te ich mei­ne eigent­li­che Auf­ga­be hint­an und ana­ly­sier­te zuerst das The­ma LaTeX und Musik­wis­sen­schaft: Ich woll­te vor­her die dafür bes­te Metho­de ken­nen­ge­lernt haben, um nicht unter­wegs fest­stel­len zu müs­sen, aufs fal­sche Pferd gesetzt zu haben. Die­se Unter­su­chung ist in ein umfang­rei­ches Doku­ment ein­ge­flos­sen: Es behan­delt klei­ne Tools, beschreibt mög­li­che Backends, leuch­tet Frontends aus, unter­sucht Kon­ver­ter und lie­fert schließ­lich eine Wege­kar­te mög­li­cher Kom­bi­na­tio­nen.

Wie üblich habe ich den Quell­code für die­se Unter­su­chung zum The­ma Musik­wis­sen­schaft mit LaTeX als Open-Source-Soft­ware ver­öf­fent­licht, das PDF-Kom­pi­lat Musik­wis­sen­schaft mit LaTeX steht online eben­falls bereit. Der Witz ist, dass Ver­bin­dung von Unter­su­chung, PDF-Ergeb­nis und Quel­len damit unter der Hand zu einer selbst­re­fe­ren­ti­el­len Anlei­tung gewor­den ist, die ein­seh­bar macht, was sie vor­zeigt. Die­ser klei­ne Arti­kel fasst wesent­li­che Ergeb­nis­se der Unter­su­chung zusam­men.

Backends

Es gibt drei Backendsys­te­me, über die frau Musik­bei­spie­le in LaTeX-Tex­te ein­bet­ten kann: die ABC‑, die MusixT­eX- und die LilyPo­nd-Nota­ti­ons­wei­se. Alle drei erzeu­gen gut les­ba­ren Noten­text, LilyPo­nd hat aller­dings die Nase vorn:

Das ABC- und das LilyPo­nd-Backend erzeu­gen jeweils ‘Noten­bil­der’, die als Gra­phik in den Text ein­ge­bet­tet wer­den. Sie mit LaTeX Mit­teln zu erwei­tern oder zu kom­men­tie­ren, ist mit­hin sys­te­ma­tisch nicht mög­lich. Bei­de nut­zen eine intui­tiv erfass­ba­re Spra­che zur Ein­ga­be von Par­ti­tu­ren. Auch dabei liegt LilyPo­nd vorn. Har­mo­nie­ana­ly­sen in die Noten­tex­te ein­zu­bet­ten, war bei bei­den Sys­te­men aller­dings nur sehr begrenzt mög­lich: man muss­te sich auf ein­fa­che Sym­bo­le beschrän­ken und konn­te kei­ne kom­ple­xen Zusam­men­hän­ge reprä­sen­tie­ren.

Anders dage­gen MusixT­eX: Hier wird der Noten­text auf LaTeX-Ebe­ne for­mu­liert. Das erlaubt eine tex­tu­el­le Ver­knüp­fung von LaTeX und MusixT­eX. Die­se Fähig­keit nutzt das LaTeX-Paket harm­o­ny. Mit ihm kann man auch sehr kom­ple­xe Har­mo­nie­ana­ly­sen in den Noten­text ein­bet­ten. Aller­dings zahlt man einen hohen Preis für die­se Mög­lich­keit: die Syn­tax von MusixT­eX ist so kom­plex und kom­pli­ziert, dass sie zu ver­wen­den die Pro­duk­ti­vi­tät begrenzt.

Die Aus­gangs­la­ge war also schon von den Backendsys­te­men her recht unan­ge­nehm: Die Musik­wis­sen­schaft­le­rin muss­te­sich ent­we­der auf einer lang­wie­ri­ge ‘Fum­me­lei’ ein­stel­len, wenn sie wis­sen­schaft­lich adäqua­te Ergeb­nis­se erzie­len woll­te. Oder sie nutz­te eine ele­gan­te Spra­che zur Noten­re­prä­sen­ta­ti­on und ver­zich­te­te auf kom­ple­xe­re Har­mo­nie­ana­ly­sen.

Ein Ausweg

Bei­des war für mich unak­zep­ta­bel. Des­halb unter­brach ich auch noch die­se mei­nem eigent­li­chen Ansin­nen vor­aus­ge­schick­te Unter­su­chung und ent­wi­ckel­te zwi­schen­drin eine Biblio­thek, die zumin­dest das für LilyPo­nd-Nota­te leis­ten soll­te, was ‘harm­o­ny’ für MusixT­eX offe­rier­te. Kon­se­quen­ter­wei­se nann­te ich die­ses Tool harmonyli.ly. Danach habe ich — wie üblich — harmonyli.ly als Open-Source-Soft­ware ver­öf­fent­licht, eine dazu pas­sen­de harmonyli.ly Inter­net­sei­te ange­legt und ein kom­plet­tes und aus­ge­klü­gel­tes harmonyli.ly Tuto­ri­al geschrie­ben. Damit wur­de der Weg LaTeX + LilyPo­nd + harmonyli.ly zu einer ech­ten Alter­na­ti­ve zur LaTeX + MusixT­eX + harm­o­ny:

Mitt­ler­wei­le darf ich wohl sagen, dass sich harmonyli.ly – auch und gera­de dank der Unter­stüt­zung durch die Com­mu­ni­ty – zu einem musik­wis­sen­schaft­li­chen Tool ent­wi­ckelt hat, das über die Fähig­kei­ten von harm­o­ny deut­lich hin­aus­geht und min­des­tens eben­so gut doku­men­tiert ist. Mehr noch: im Ver­bund mit harmonyli.ly wer­den LilyPo­nd und LaTeX auf hohem Niveau zu einem vom For­schungs­ge­gen­stand her adäqua­ten Tool für Musik­wis­sen­schaft­ler.

Frontends

Musik­wis­sen­schaft­le­rin­nen sind aller­dings immer auch Musi­ker: sie schrei­ben und lesen lie­ber Noten als spe­zi­el­le Nota­ti­ons­spra­chen. Inso­fern woll­te ich auch wis­sen, ob für die mög­li­chen Backendsys­te­me pas­sen­de Frontends bzw. Edi­to­ren zur Ver­fü­gung stan­den. Das Inter­net prä­sen­tier­te vie­le. Ich habe die rele­van­ten hin­sicht­lich Ver­füg­bar­keit und Nutz­bar­keit getes­tet. Letzt­lich blie­ben — prin­zi­pi­ell gese­hen — nur 7 Kan­di­da­ten: Easy­ABC, Dene­mo, Rose­gar­den, MuseS­core, Can­o­rus, Fres­co­bal­di und Ely­si­um. Aller­dings stell­te sich zuletzt her­aus, dass

  • nur die semi-gra­phi­schen Edi­to­ren Fres­co­bal­di und Ely­si­um direkt mit LilyPo­nd und harmonyli.ly nutz­bar waren
  • es kein Front­end für MusixT­eX gab, weder direkt, noch indi­rekt über die Ein­bin­dung von Kon­ver­tern
  • für LilyPo­nd nur das gra­phi­sche Front­end MuseS­core exis­tiert, sofern die Wis­sen­schaft­le­rin bereit ist, ihre Arbeit als MusicXml-Datei zu expor­tie­ren und mit­tels des Kon­ver­ters musicxml2ly in eine LilyPo­nd Datei umzu­wan­deln, in die dann — über Fres­co­bal­di oder Ely­si­um — die harmonyli.ly basier­te Har­mo­nie­ana­ly­se­sym­bo­le nach­träg­lich ein­bet­tet wer­den.

Fazit

Damit war das, was wirk­lich mög­lich war, zuletzt deut­lich redu­ziert, selbst wenn man Kon­ver­ter mit ein­be­zog:

  • Letzt­lich kann man aus den Tools in und um LATEX + ABC kein akzep­ta­bles Edi­tier­sys­tem für Musik­wis­sen­schaft­ler zusam­men­stel­len.
  • Der Vor­teil der Metho­de LaTeX + MusixT­eX + harm­o­ny liegt in der bruch­lo­sen Inte­gra­ti­on in das gewohn­te LaTeX-Hand­ling und in der Tat­sa­che, dass LaTeX-Syn­tag­men in MusixT­eX-Berei­chen ver­wen­de­ten wer­den kön­nen.
  • Der Nach­teil der Metho­de LaTeX + MusixT­eX + harm­o­ny besteht in der Kom­ple­xi­tät und Unhand­lich­keit von MusixT­eX. Außer­dem gibt es kein gra­phi­sches oder semi-gra­phi­sches Front­end zur Edi­ti­on von MusixT­eX-Datei­en
  • Der Nach­teil der Metho­de LaTeX + LilyPo­nd + harmonyli.ly besteht dar­in, dass die Noten­bei­spie­le nicht nativ in den LaTeX-Text ein­ge­bet­tet wer­den, son­dern ’nur’ als unab­hän­gig gene­rier­te Gra­phi­ken. Damit muss man die Ska­lie­rung und Auf­lö­sung geson­dert beden­ken.
  • Dem ste­hen meh­re­re Vor­tei­le der Metho­de LaTeX + LilyPo­nd + harmonyli.ly gegen­über:
    • Die LilyPo­nd-Syn­tax ist deut­lich ein­fa­cher als die von MusixT­eX
    • Mit Fres­co­bal­di gibt es einen aus­ge­zeich­ne­ten semi-gra­phi­schen Edi­tor, der gleich auch die Zusatz­bi­blio­thek harmonyli.ly kor­rekt aus­wer­tet.
    • Mit Ely­si­um steht eine Eclip­se-Alter­na­ti­ve bereit.
    • In abseh­ba­rer Zeit dürf­te Can­o­rus zu einer nutz­ba­ren drit­ten Mög­lich­keit wer­den.
    • Wer sich einen gra­phi­schen Edi­tor wünscht, kann auf MuseS­core zurück­grei­fen, sei­nen Text als MusicXml expor­tie­ren und nur die Ana­ly­sen als LilyPo­nd-Syn­tag­men ein­bet­ten — ein gut nutz­ba­rer Weg, ins­be­son­de­re wenn es um kom­ple­xe­re Noten­tex­te geht.

Konsequenzen

Damit dürf­te auch klar sein, wie ich mein initia­les Ansin­nen beant­wor­te: Ich nut­ze LaTeX + LilyPo­nd + harmonyli.ly.

Ins­ge­samt bin ich froh, den Dschun­gel der Mög­lich­kei­ten, der sich nach der rei­nen Inter­net­re­cher­che abge­zeich­net hat­te, sys­te­ma­tisch aus­ge­leuch­tet und die wirk­lich gang­ba­ren Wege gefun­den zu haben. Jetzt weiß ich, wor­an wir sind. Ich brau­che mir kei­ne Sor­ge mehr zu machen, mit­ten in der Arbeit das Pferd wech­seln zu müs­sen und all die schon geleis­te­te Unter­su­chungs­ar­beit zu ver­lie­ren.

Ich wünsch­te aller­dings, ich selbst hät­te mei­ne Arbeit schon gleich zu Anfang von jemand ande­rem erhal­ten anstatt sie selbst geschrie­ben haben zu müs­sen. Das hät­te mir sehr viel Zeit gespart. So hof­fe ich, dass ande­re mei­ne Vor­ar­beit ver­wen­den und ihre Zeit für pro­duk­ti­ve­re Din­ge nut­zen kön­nen.


Und in welchem Zusammenhang …

… steht das jetzt — im wei­tes­ten Sin­ne — mit Musi­zie­ren? Nun, dafür brau­chen wir zunächst ein Instru­ment, das Zube­hör und ein Etui. Hel­fen kön­nen uns dabei oft auch klei­ne­re und grö­ße­re Com­pu­ter­pro­gram­me, mit denen wir kom­po­nie­ren und die wir ver­bes­sern, Musik wis­sen­schaft­lich ana­ly­sie­ren und Work­shops vor­be­rei­ten kön­nen. Dazu habe ich hier und im Gei­gen­fo­rum eini­ges zusam­men­ge­tra­gen.


Im Übri­gen: Män­ner sind mit­ge­meint.

  1. Prin­zi­pi­ell mög­lich sind sogar Fuß­no­ten in Word­Press und HTML[]
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